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Channel: Reden und Predigten – 1914-1918: Ein rheinisches Tagebuch
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31. Oktober 1917

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Auszug aus der Festpredigt zum Reformationsjubiläum 1917 von Pfarrer Karl Theodor Becker, gehalten in der Christuskirche zu Köln 31. Oktober 1917, AEKR Archivbibliothek GB 29 005

Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Festpredigt von Pfarrer Karl Theodor Becker, 12 S., Archivbibliothek GB 29 005

Auszug aus der Festpredigt gehalten am 31. Oktober 1917 in der Christuskirche zu Köln, über Apostelgeschichte 5 Vers 38 und 39, S. 10 – 12.

Die Gottesstat deutscher Reformation und ihre Siegeskraft

Denn wie alles Echte und Gute so ist auch
die deutsche Reformation in den Kampf hineinge-
stellt. Es muss so sein, und wir freuen uns jeder ehr-
lichen Gegnerschaft, denn sie ist uns nicht nur ein Be-
weis für die Güte dessen, wofür wir kämpfen, sondern
auch Voraussetzung und Bedingung weiteren Wachstums
und fernerer Ausreife. Die deutsche Reformation ist kein
zeitlich abgegrenztes Stück deutschen Geisteslebens, son-
dern eine Wellenbewegung der Geister voll Drang und
Sehnen.
Gerade in diesem Weltkrieg hat sie einen be-
sonders schweren Stand. Die internationale Gemeinschaft
protestantischen Lebens, auf die wir früher stolz waren,
ist jäh zerrissen worden. Feindliche Brüder stehen in er-
bittertem Kampf einander gegenüber, als hätten sie keine
gemeinsame Mutter mehr. Der ganze tiefe Unterschied
zwischen deutscher und angelsächsischer Frömmigkeit
trat klaffend zutage. Auf unserer Seite der berechtigte
Glaube an uns selbst und die unausrottbare Ueberzeu-
gung, dass wir der Völkerwelt noch etwas zu bringen und
zu bedeuten haben – dies alles aber herausgeboren aus
dem Gefühle der Verantwortlichkeit vor Gott und der
Geschichte. Auf der andern Seite ein Uebermass von
mammonistischer Selbstsucht und nationalem Grössen-
wahn, das uns oft als etwas geradezu Unbegreifliches an-
starrt. Es sind Geister wach geworden und aufgestanden,
welche Verständigung miteinander und Verständnis für-
einander erst nach hartem Selbstgericht finden werden.
Wahrhaftig für den Protestantismus eine schwere Prü-
fungsstunde! Seien wir stark ! Halten wir aus ! Halten
wir, was wir haben, dass niemand unsre Krone nehme !


Denn es geht schliesslich doch nicht bloss um deutsche
Ehre und deutsche Zukunft, sondern um die Seele der
Menschheit, um das Recht freien Menschentums und
um das Bild der Gottheit, in das wir hineinwachsen
wollen.
Auch an der Auseinandersetzung mit Rom kommen
wir nicht vorbei. Wir sprechen davon ohne Zorn und
Leidenschaft. Der Gegensatz ist älter als die deutsche Re-
formation. Unter der Last schweren gemeinsamen Kriegs-
schicksals ist er zurückgetreten hinter das Gebot des
Burgfriedens. Wir stehen als Volksgenossen Schulter an
Schulter in treuer Waffenbrüderschaft wider den gemein-
Samen übermächtigen Feind. Wir achten auch bei un-
serm Gegner jede ehrliche Glaubensüberzeugung und
haben Verständnis für seine Art. Aber als deutsche Pro-
testanten wollen wir vor allem unserm Volke dienen. Als
Geisteserben Luthers wollen wir uns seine Worte immer
wieder gesagt sein lassen: „Für meine Deutschen bin ich
geboren, ihnen will ich dienen“. In ehrlichem geistigem
Waffengang wollen wir deutsche Frömmigkeit pflegen,
die aus den Tiefen der deutschen Volksseele schöpft,
die aus vaterländischen Schicksalen lernt, die im deutschen
Liede singt, in deutscher Weise betet, die in erster Linie
sich müht, auf die Lebensfragen deutscher Herzen Antwort
und aller religiösen Fremdländerei den Abschied zu geben,
weil sie nur e i n e n Herrn über sich hat, den deutschen
Christus. Deutsch-protestantisch sei unser Arbeits-
Programm und unsere Waffenparole!
Ob es uns dann nicht gelingen wird, auch unserer
inneren Feinde Herr zu werden? Ich denke heute und
an dieser Stelle an das protestantische Parteiwesen. Zur
Einigkeit mahnt uns der IOOjährige Gedenktag preussi-
Scher Union, von der man mit Recht gesagt hat, dass,
wenn sie nicht schon da wäre, sie jetzt ins Leben treten
müsste. Wohl werden Richtungen und Gruppen immer
sein. Sie sind der notwendige Ausdruck für die Mannig-
faltigkeit geistiger Gaben und als solche geschichtlich
berechtigt. Aber danach lasset uns streben, dass sie –
um ein bekanntes Königswort zu gebrauchen – niemals
ein Grund für uns seien, dem andern die brüderliche Ge-
meinschaft zu versagen. Mancherlei sind die Gaben, aber
es sei ein Geist!Verschieden sind die Geister, aber
ein Ziel leuchte vor uns allen, das Heil unseres gesamten
Volkes! In der Rennbahn des Lebens laufen wir alle.
Auf einem Kampfplatz ringen wir. Lasset uns anlegen
die Waffen lautern Wahrheitssinnes, heiligen Ernstes, vor-
nehmer Sachlichkeit, persönlicher Ueberzeugungstreue,
wahrhaft brüderlichen Verständnisses und unerschütter-
lichen Glaubens an den andern! So wird keine Not und
kein Schicksal den Siegeslauf des fromm-freien Luther-
geistes aufhalten.

Darauf geben wir uns die Hände in Glauben fest,
in Liebe stark, im Hoffen einig. Dann soll, dann wird es
uns doch gelingen.   Amen.

Die vollständige Festpredigt als PDF


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